Magda steht auf der Bühne des "Piec Art", über ihr wölbt sich die unverputzte Ziegeldecke eines typischen Kraukauer Jazzkellers. Schweinwerfer beleuchten ihr zartes Profil, ihre Hände, ihr Dekolleté, und sie singt. Sie singt und ihre Stimme erzeugt eine Schwingung, eine Kraft, die leuchtet. Als der Applaus einsetzt, gleicht der Saal einem Lichtermeer.
"Magisches Krakau!" - Der Slogan, mit dem die Stadt offiziell wirbt, ist kein Klischee. Von Krakau geht tatsächlich eine Magie aus - eine besondere Anziehungskraft. Wie kommt das, fragt man sich. Denn auch andere Städte haben einen historischen Stadtkern mit Kirchen aus allen Jahrhunderten und Stilrichtungen. Auch andere Städte pflegen ihre Traditionen und sind aufgeschlossen für das Moderne...
Krakau aber ist magisch!
Zygmunt, die Glocke, die 1520 in Anwesenheit des Königs und seines ganzen Hofstaates auf den Burghügel des Wawel gehievt wurde, hat alle Wirren der Zeit überstanden. Andere haben längst Sprünge bekommen oder sind überhaupt eingeschmolzen worden, sein Bronzekörper erklingt jedoch immer noch wie eh und je. Er wiegt etwa 11 Tonnen und der Klöppel allein ist 365 Kilogramm schwer. Zwölf ehrenamtliche Glöckner stehen in seinem Dienste. Weil hier Menschen am Werk sind, Künstler, die über musikalisches Gehör verfügen und über Gespür, klingt diese Glocke besonders schön. Wird der Ton zu laut, verringern die Glöckner sofort den Schwung - das können Maschinen natürlich nicht. Instinktiv hat man Lust den Klöppel zu berühren. Tut man es mit der Linken, bedeutet das Glück in der Liebe. Streckt man die Rechte aus, bringt das Reichtum und Überfluss. Leider erzählt die Fremdenführerin erst im Augenblick des Hingreifens von der Wunderkraft der Glocke - hätte man es doch nur früher gewusst!
Krakau liebt seine Geschichte und breitet sie vor den Besuchern aus wie ein wunderschönes Gemälde. Die Altstadt - mit dem Renaissancemarktplatz und den Tuchhallen im Zentrum - und dem Wawel, dem ehemaligen Königsschloss, bildet ein unversehrtes historisches Ganzes und gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Innerhalb des Grüngürtels "Planty" ist alles wie vor vielen hundert Jahren. Selbst der 2007 eröffnete Pavillon Wyspianski der Architekten Krzysztof Ingarden und Jacek Ewy fällt nicht aus dem Rahmen - ein modernes Gebäude, das durch seine Klinkerfassade mit den Ziegelmauern des Königsschlosses und den umliegenden Kirchen korrespondiert. Weil die Ziegel nicht in festem Verbund gemauert, sondern auf vertikal angeordnete Stahlstangen gesteckt worden sind, sind Zwischenräume entstanden, die Ein- und Ausblicke gewähren.
Auch wenn die Funktionen des Gebäudes heute sehr vielfältig und durchaus "irdisch" sind (Touristeninformation und Festivalbüro), erzeugen Stanislaw Wyspianski´s Glasfenster eine spirituelle, sakrale Atmosphäre.
Auf Künstler und Intellektuelle scheint die Stadt an der Weichsel seit jeher einen besonderen Reiz ausgeübt zu haben. Schon Kopernikus hat hier studiert. Sein 1543 entstandenes Manuskript "De revolutionibus orbium coelestium - Über die Kreisbewegungen der Himmelskörper" ist in der Bibliothek der Jagiellonen-Universität aufbewahrt. Karol Wojtyla, der spätere Papst Johannes Paul II, inskribierte in Krakau polnische Philologie und stand auf der Bühne eines Studententheaters. Stanislaw Lem, der Science-fiction-Autor, beschäftigte sich als Forschungsassistent an der Uni mit Problemen der angewandten Psychologie.
Oscarpreisträger Andrej Wajda inszenierte seine ersten Stücke am Teatr stary. Der in Paris geborene Roman Polansky kam Ende der 1930-er Jahre mit seinen Eltern nach Krakau. Das weitere Schicksal der Familie gleicht dem der 75.000 Juden der Stadt. Wie durch ein Wunder überlebte der Sechsjährige, weil er durch eine Maueröffnung aus dem Ghetto entfliehen konnte. Als man ihm das Drehbuch von Schindlers Liste zur Verfilmung anbot, lehnte er ab. Steven Spielberg drehte den Film 1993 auf Originalschauplätzen im Krakauer Stadtteil Kazimierz - heute ein Touristenmagnet. In den Restaurants begleitet Klezmer Musik die Menüfolge aus gefillte Fisch, Gänseleberpaste und Bortschtsch (poln. Barszcz).
Orientierungstafeln zeigen den Weg zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten: die Alte Synagoge, die Tempel Synagoge, der "plac Nowy", der Friedhof Remuh. Jedes Jahr Anfang Juli bildet Kazimierz die historische Kulisse für das große Festival jüdischer Kultur. In der "ulica Szeroka", der Hauptstraße, befand sich einst der Greißlerladen der Familie Rubinstein. Eine der sieben Töchter des Hauses brach 1902 von hier nach Australien auf, 12 Cremetiegel im Gepäck. Die Döschen enthielten eine von den Gebrüdern Lykusky gerührte Mixtur aus Kräutern, Mandelöl und Rinderfett. Sie wirkten Wunder auf den von Sonnenbrand geplagten Teint der Australierinnen und machten Helena reich. Auch das eine "Magic Story"!
Dort, wo 1941-1943 das Ghetto errichtet wurde, liegt heute Podgórze, ein lange unspektakuläres Viertel, das nach und nach durch moderne Architektur aufgewertet wurde. Erster Blickfang nach Überqueren der Brücke "Most Powstanców Slaskich", ist die "Cricoteka", ein Museumsneubau aus Glas und korrodiertem Stahl, der über ein altes E-Werk gestülpt wurde. Eine permanente Ausstellung gibt Einblick in die Arbeit von Tadeusz Kantor, dem 1990 verstorbenen Regisseur, Maler und Performancekünstler. Ein Raum dient der Präsentation moderner Kunst.
Spaziert man ein Stück weiter am Weichselufer Richtung Nordosten, stößt man auf das "MOCAK", das neue Museum für zeitgenössische Kunst. Dass es auf dem Gelände der früheren Fabrik von Oskar Schindler errichtet wurde, erzeugt einen Spannungsbogen zwischen Gegenwart und Geschichte und zwischen Kunst und Krieg. Die Dauerausstellung skizziert die Figur des deutschen Unternehmers und das Schicksal der von ihm geretteten Krakauer Juden.
Für das, was dann folgte, die Ära der kommunistischen Alleinherrschaft, stand lange Zeit das "Hotel Forum", etwas weiter flußaufwärts am Weichselufer. Ein Monster aus der Sowjetzeit! Minimale Eingriffe haben genügt, um daraus eine der angesagtesten Locations der Stadt zu machen: das "Forum Przestrzenie". An der ehemaligen Rezeption werden jetzt Smoothies und Burger serviert, in der warmen Jahreszeit inszeniert die "Riverside Bar" mit Liegestühlen und Strandkörben Beach-Life à la Ibiza oder Tel Aviv.
Auch die Kellerbar "Klub 89" mit ihren halbkreisförmigen Séparées sieht immer noch aus wie ein osteuropäischer Striptease Club. Nur dass hier statt Geschäftsmännern aus dem "Westen" internationale DJs den Ton angeben.
Neun Tage lang werden die stillen Winkel des Viertels Kazimierz akustisch und emotional aufgeladen. Rund 30 Konzerte sowie zwei Dutzend weitere Veranstaltungen, Workshops, Exkursionen, Ausstellungen, Filmvorführungen und Vorträge stehen auf dem Programm.
Nadwislanska 2-4.
Das neue Zentrum für zeitgenössische Kunst entstand rund um das Gebäude eines ehemaligen E-Werks direkt am Weichselufer. Es dient zur Dokumentation der Werke von Tadeusz Kantor und verfügt auch über einen Theaterraum, eine Bibliothek, eine Buchhandlung und ein Café.
Südlich der Weichsel erstreckt sich das Szeneviertel Podgórze mit dem Museum für zeitgenössische Kunst (MOCAK), das auf dem Gelände der früheren Fabrik von Oskar Schindler errichtet wurde. In der Schindler-Fabrik gibt es eine Dauerausstellung zur Geschichte von Krakau in der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu sehen.